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Co-Working-Space statt einsame Insel
Schon mal davon gehört? Wer Schriftstellerin werden will, wünscht sich für mindestens vier Wochen auf eine einsame Insel. Nicht erreichbar sein, alles kommen lassen wie es kommt, in der Ruhe und Stille kreativ werden. Auch ich dachte lange, es wäre genau dieser Ort, der mir für den richtigen Schreibfluss fehlte.
Doch ich bin auch gut darin, mich selbst zu überraschen. Und so landete ich in meinem letzten Urlaub in einem neu eröffneten Co-Working-Space im Kern der Innenstadt von Wuppertal-Elberfeld. Und ich sag euchw was: Meine einsame Insel habe ich gerne eingetauscht. Exakt hier habe ich nämlich gefunden, was ich nicht gesucht hatte und bin beim Schreiben richtig abgegangen.Zum Schreiben ins Studio
Ein Schnupperbesuch im noch nicht ganz fertigen Studio One: Einladender, weitläufiger Raum, voll die edle Küche, riesen Dachterrasse mit einem total energiegeladenen Auslausch auf das pulsierende Leben zwischen Wochenmarkt und Fitnessstudio, Geschäften und kulinarischen Verlockungen aller Art. Vor allem aber aufgeschlossene Leute, die ein Sechs-Pfoten-Team aus blinder Mitfünfzigerin plus Führhund weder wie Aliens noch wie ein Weltwunder behandelten. Niemand staunte, dass ich hier arbeiten wollte, und alle waren sofort in meinen Hund verschossen.
Also kurzerhand einen Monat im Open Space gebucht und mit Feuereifer in die Tasten gehauen. Denn siehe da: Sobald ich morgens das Haus verließ, um ganz gezielt zum Schreiben ins Studio zu kommen, kam es gar nicht mehr infrage, erst noch Mails zu beaantworten, an anderen Projekten zu stricken oder den Rechner komplett mit Nichtachtung zu strafen, weil man zuhause ja tausend andere Dinge tun kann.Teepause
Schnell fühlten wir uns heimisch. Mein Hund steuerte jeden Morgen punktgenau unseren Platz an. Nach und nach hatte ich auch selbst den Dreh raus, obwohl es auf dem einheitlich eisbahnglatten Boden keinerlei Leitlinien, Teppiche oder sonstige Orientierungspunkte gab. Dafür sprangen verhalten aber zuverlässig brummende Kühlschränke ein, und auch Bürotüren an den Seiten gaben mir manchmal einen Hinweis.
© Gesche Schmidt In dem begrenzten Küchenraum kannte ich mich nach einer kleinen Einführung durch Gesche, die Community Managerin, gut aus. Auswendig lernen, was vorne links in der rechten unteren Schublade liegt, ist eine meiner leichtesten Übungen. Also zielsicher zu einem Teeglas greifen, einmal diagonal durch die Küche, die Hand an der exakt richtigen Stelle nach den Teebeuteln ausstrecken – ganz unten rechts ist meine neue Lieblingssorte, Roibostee mit Zimt und Holunder – und dann an der großen, glatten Fläche des Kaffeevollautomaten kläglich scheitern.
Ein Touchscreen mit tausend Auswahlfeldern, die nicht mit mir sprechen. Technisch wäre das heute ein Kinderspiel, doch die meisten Firmen glauben noch immer, dass mir und überhaupt allen Menschen mit Behinderungen sowieso jemand den Tee vorsetzt und übergehen mal eben tausende von Personen, die ihre Geräte vielleicht gern gekauft hätten. Hier in der lockeren Atmosphäre sage ich gleich bescheid, und schon landet per Zauberstab aus der leeren Luft ein schlichter Wasserkocher neben dem Vollautomaten. „Da freuen sich bestimmt noch andere über so ein einfaches Gerät“. Kaum hatte ich den Satz gesagt, da raunte Gesche mir auch schon zu: Da kommt schon der Erste. Hatte ein bisschen was von Wildtierbeobachtung von der Dachterrasse aus.„Diesen Usecase hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm“
© Gesche Schmidt Es lenkt mich nicht ab – im Gegenteil! Es ist ein Genuss, in diesem großen Raum zu schreiben und zu hören, wie im Hintergrund andere miteinander über veganen Kuchen oder ihren letzten Call plaudern. Die Energie ist und bleibt ungeheuer anregend. Bisweilen kommt sogar ein zweiter Hund vorbei und spielt kurz mit meinem, und alle finden es okay.
Der Unterschied zum eigenen Zuhause ist, die eifrigen Menschen, die da plaudern oder sich kurz was aus der Küche holen, wollen garantiert nichts von mir. Sie sind wie ich zum Arbeiten hier und lassen mich in meinem Schreibfluss sein. Habe ich dann aber Lust auf Gesellschaft, gehe ich einfach selbst auf die Dachterrasse oder in die Küche.
Bei einer solchen Gelegenheit habe ich Inhaber Nico eröffnet, dass ich in seinem Space Urlaub mache und an meinem allerersten Buch schreibe. „Urlaub“, staunte er daraufhin, „Diesen Usecase hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm.“ -
Offene Bühne – Ein Appetitanreger mit durchschlagender Wirkung
Locker, flockig und leichtpfötig wie der Schnupperturm seine Streifzüge mit der Chefin aufschreibt, habe ich am letzten Samstag im marburger Kultur und Freizeitzentrum im Rahmen der #inklusiven Veranstaltung „Tag für alle“ auf der #offenen Bühne gestanden. An meiner Seite, ruhig und abgeklärt, Unimok, der dritte #Blindenführhund, mit dem ich das Glück habe, als #Sechs-Pfoten-Team durch die Welt zu wandeln.
Elf bunt gemischte Menschen begleiteten mich durch diesen ersten Sprung in die wirkliche Welt, in die das Buch und ich nach diesem Erlebnis immer dringender hinaus wollen.
Wie immer, wenn etwas locker und leichtpfötig daherkommt, ist der Vorführung eine Menge Arbeit vorausgegangen. Die sorgfältige Auswahl der Lesestellen, kleine bis mittelgroße Textüberarbeitungen, die bestmögliche Formatierung des Textes. Dann waren da etliche Lesungen vor einem fiktiven Publikum, oder vor den geneigten Ohren meines Partners.
Einer Chorprobe nicht unähnlich habe ich ausprobiert, wo ich atmen kann und welche Sätze ich unbedingt in einem Stück lesen möchte. Wo gilt es, eine Pause wirken zu lassen, wie ist es mit unterschiedlicher Lautstärke und Betonung.
In meiner Rolle als #Dolmetscherin habe ich lernen müssen, vor Publikum zu sprechen. Damals erschien es mir zunächst als kaum überwindbares Hindernis. Jedoch war meine #Motivation, Dolmetscherin zu werden, so übermächtig, dass mir gar nichts anderes übrig blieb, als das Reden vor Publikum zu trainieren. Mit Unterstützung von #NLP-Techniken stellte ich mir vor, ich wäre jemand anders, malte mir eine routinierte, selbstsichere Frau aus, die jeden Saal mühelos in ihren Bann zieht, gab ihr einen Namen. Musste ich dann in die Höhle des Löwen – also ans Pult – konnte ich mich schließlich wie diese Frau fühlen. Seit dem halte ich es nicht nur aus, sondern fühle mich wohl, wenn ich vor Leuten stehen darf.
Die spannende Frage war, wie es wäre, wenn ich plötzlich mit meinen eigenen Worten und Meinungen öffentlich auftreten würde. Die NLP-Frau von damals hat ihren Dienst getan, ich brauchte sie nicht mehr, konnte selbst da oben stehen und mit Spotlight und Adrenalin wiederholen, was ich trainiert hatte.
„Hey, Chefin, wer ist noch mal der Autor von „Schnupperturms Streifzüge“?“
Okay, ertappt. Im Grunde habe ich also doch wieder vorgetragen, was ein anderes Wesen der Welt mitzuteilen hat. -
Gestatten, Schnupperturm!
Da sitze ich auf meiner kopfkissenweichen Wolke und schreibe ein Buch – ja, von hier oben aus geht das als ehemaliger Blindenführhund ganz hervorragend – Schnupperturms Streifzüge wird es heißen. Der Schnupperturm, das bin ich. Mit bürgerlichem Namen heiße ich Jack. Und kaum schreibe ich ein Buch, soll ich auch gleich noch mehr schreiben.
Die Chefin lässt sich nämlich einfallen, auf Social Media mitzumischen.
Mit neugierigen Menschen möchte sie arbeiten, und das hat mit Fremdsprachen zu tun und mit Dingen, die Intersektionalität, Ableismus und Diversität heißen.Echter Diversität, betont die Chefin, also gibt es wohl auch unechte, die nur so heißt, am Ende aber doch nicht so vielfältig ist.
Ohnehin verstehe ich nichts von diesen Begriffen. Die Chefin sagt, als Frau mit Behinderung müsse sie sich jetzt dazu äußern, denn gerade dann würden mehr Menschen erkennen, dass sie sich nicht nur mit dem Thema Behinderung beschäftigt. Das verstehe wer will.
Als Team auf sechs Pfoten haben wir so gegensätzliche Welten durchstreift wie das Sauerland und Brasilien, haben Städte, Seen, Meere, Dörfer und Wälder erforscht.Meinen Schlaf genossen habe ich bei mehrsprachigen Konferenzen über Stadtplanung, Fußball oder Sonnenenergie. Das reichte aber wohl nicht um zu merken, im Leben der Chefin geht es um etliche Themen an zahlreichen Orten. Also spricht sie jetzt über Blindheit, Wahrnehmung und vieles mehr. Und das mache ich übrigens in meinen Buch auch bald – auf meine Weise.